Das alte Rom ist doch untergegangen!

Ja und nein. Im Jahre 476 musste Roms letzter Kaiser Romulus Augustulus abdanken, nachdem in der Völkerwanderung Goten und Vandalen Italien und die „goldene Stadt“ Rom durchzogen und geplündert hatten. Doch Rom war und ist mehr als die Ruinen der ehemaligen Hauptstadt eines untergegangenen Weltreiches, das sich von Gibraltar bis zum Ararat, von den Pyramiden Ägyptens bis zum Hadrianswall in Schottland erstreckte. Rom mit seiner Sprache Latein – man spricht daher auch von der Latinität – hat unsere europäisch-abendländische Kultur geschaffen und geprägt. Was wir sind, sind wir größtenteils durch Rom, durch die Latinität.

Das zeigt schon ein Blick auf die (west-)europäische Landkarte. Sicher, den Rhein haben nicht die Römer gegraben, aber es war Caesar in seinem Bellum Gallicum, in seinem Gallischen Krieg, der diesen Fluss zur „Kultur“-Grenze innerhalb Westeuropas erklärt hat. Links davon die Gallier, die schon immer, aber besonders seit Caesars Unterwerfungsfeldzug im Strahl der römischen Leitkultur lebten. Cultus atque humanitas, ein gepflegter Lebensstil und menschliche Bildung prägen diese Latinitas bzw. verbrämen den oft brutalen römischen Imperialismus. Ganz anders rechtsheinisch die Germanen, jene edlen Wilden, denen alles fehlt, was zu Roms zivilisatorischem Standard gehört: Städte, Feste, Grundeigentum – ja sogar die agri-cultura (frz.: agriculture ~ Ackerbau) geht ihnen ab. Wie sehr der europäische wenn nicht gar der Weltfrieden immer wieder vom Verhältnis zwischen dem romanisierten Frankreich und den Nachfolgevölkern der Germanen abhing, lässt sich in jedem Geschichtsbuch nachlesen. Latein beschäftigt sich mit den Grundlagen dieses europäischen Urverhältnisses.

Roms Imperialismus war das Ergebnis einer brutalen, aber äußerst erfolgreichen Strategie. Und doch waren es die Römer selbst, die zumindest auf dem philosophischen Reißbrett den Krieg problematisierten. So entwickelte sich die Idee eines bellum iustum, eines gerechten Krieges, der sich zumindest im Ideal an verbindliche Regeln hält. Dass dieses geregelte Kriegsrecht eine Quelle unseres Völkerrechts und der modernen Kriegskonventionen darstellt, zeigt wiederum die tiefe Verwurzelung Europas im römischen Denken. Auch andere Rechtsregeln der Römer sind Teil unseres Rechtsverständnisses geworden und Grund dafür, warum das römische Recht heute noch Teil des Jurastudiums ist.

Über die Politik, über Macht und Recht haben sich die Römer definiert. Aber nicht nur. Römische Philosophen haben immer wieder darüber nachgedacht, ob der Mensch in seinem Beruf, in seiner Rolle als Staatsbürger aufgehen soll, oder ob es darüber hinaus noch eine andere Identität, ein anderes Glück gibt. Dichter wie Vergil und Ovid schufen die literarischen Gegenwelt der Mythen mit ihren Stoffen, die bis heute die Weltliteratur bestimmen: Gestalten wie Ikaros, Herakles, Kassandra, ...

Fazit: Mit Latein versteht man unser Denken, unsere Kultur, unsere Literatur und Philosophie, aber auch unser Staatswesen besser.

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