Wer spricht heute noch Latein?

Fast keiner, doch: Sprache ist mehr als Sprechen, und in Latein lernt man, wie Sprache funktioniert.

Ein kleiner Vergleich soll das verdeutlichen: Man muss kein Ingenieur sein, um Auto zu fahren oder ein Gerät zu bedienen. Wer aber die Mechanik und Elektronik durchschaut, kann aus seiner Maschine mehr herausholen und sie effektiver und raffinierter einsetzen. Sprechen (und schreiben) kann jeder, und mit einem gewissen Training sogar einigermaßen korrekt. Besser kann’s aber, wer sich mit den Gesetzen und Strukturen der Sprache auseinandergesetzt hat – und genau das will der Lateinunterricht: Brauchen wir wirklich drei Vergangenheiten und was bedeuten diese? Geht es auch ohne die vier Fälle? Oder ohne Artikel? Sind Nebensätze wirklich nebensächlich? Welche Nuancen kann der Konjunktiv ausdrücken ...

Eine „lebendige“ Sprache käme nie zur gewünschten Sprechfertigkeit, wenn sie sich mit solche Fragen aufhielte. Unsere Fahrschulen beschränken sich in der Theorie ja auch auf das, was der alltägliche Verkehr von uns verlangt. Umgekehrt wird kein Techniker bei laufendem Betrieb oder gar mitten im Verkehr die Schaltkreise seines Fahrzeuges untersuchen oder eine neuartige Einspritzpumpe einbauen. Dazu braucht’s die Ruhe und die Konzentration eines Labors oder einer Werkstatt.

Latein bildet die Schüler sozusagen zu kleinen Sprach-Ingenieuren aus – und daraus kann man im Leben fast täglich einen Nutzen ziehen: beim Lesen anspruchsvoller Texte, bei der Formulierung komplizierter Sachverhalte, beim Erlernen fremder Sprachen ...

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